Ortsunabhängig arbeiten bei julitec

julitec begeisterte mit ihrer cloudbasierten Software Deals & Projects von Beginn an viele Agenturen. Als komplett ortsunabhängige Firma sind sie zudem Pioniere für ein neues Arbeitsmodell. Alois Wever, CEO, gibt im Interview einen Einblick in ihre remote Arbeitskultur.

 

Steckbrief

  • Unternehmen: julitec GmbH
  • Mitarbeiterzahl: 9
  • Modell: Full remote – komplett ortsunabhängig
  • Interviewpartner: Alois Wever, CEO

Alois, war euer Unternehmen schon immer auf ortsunabhängiges Arbeiten ausgerichtet?

Unser Unternehmen war nicht immer remote. Ursprünglich waren wir ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen mit fast 30 Mitarbeitern, mit Abteilungen samt Abteilungsleiter etc. Ich selbst kam 2011 als Werkstudent dazu und als letztes Jahr einer der Gründer ausgestiegen ist, bin ich gewissermaßen eingestiegen. Johannes Geyer und ich haben uns dann hingesetzt und beschlossen, fortan alles so zu strukturieren, wie wir es uns immer erträumt haben. Letztlich hatten wir nur noch ein, zwei Mitarbeiter aus dieser großen Zeit übrig, einer ist nun bereits in Rente.

Es war jedoch nicht so, dass wir gesagt haben, wir müssen jetzt alle entlassen – es hat sich einfach so ergeben. Alle anderen sind jetzt tatsächlich noch kein Jahr da. Momentan ist unser Team wieder auf zehn Mitarbeiter angewachsen.

Mittlerweile arbeiten wir komplett ortsunabhängig, unser Büro ist inzwischen aufgelöst. Wir haben abgestimmt und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir keines benötigen. So vermeiden wir zugleich unnötige Kosten.

Mir ist es extrem wichtig, die Leute wirklich gut zu bezahlen. Sobald wir einen Erfolg oder mehr Geld haben, wie jetzt durch den Verzicht auf ein Büro, bedeutet das eine Gehaltserhöhung für alle. Im Moment verhält es sich sogar so, dass alle Festangestellten das gleiche Gehalt bekommen und alle Neuzugänge erhalten in der Probezeit etwas weniger. Sobald diese vorbei ist, geht das Gehalt automatisch hoch – ein Festanstellungsvertrag wird auch immer angeboten, kein befristeter Vertrag.

Wie genau sieht euer flexibles Arbeitsmodell aus?

Vom klassischen Prinzip Arbeitgeber-Arbeitnehmer halte ich persönlich nichts. Es mit so vielen Regeln verbunden, die ich grundlegend verstehe, schließlich versucht man den Arbeitnehmer zu schützen – das finde ich auch richtig. Doch das Problem ist, dass dieses ganze System auf so viel Misstrauen von beiden Seiten her basiert. Man ist nie auf Augenhöhe: Der Arbeitnehmer hat vielleicht das Gefühl, ausgebeutet zu werden, wohingegen der Arbeitgeber Angst hat, dass der Angestellte für sein Geld nicht arbeitet.

Wenn man aber eine richtige Firmenkultur schafft, braucht man das alles nicht. Dann ist es eher hinderlich, dass man zum Beispiel Urlaubstage auch mitnimmt. Wenn einer mehr Urlaub braucht, dann nimmt er mehr Urlaub. Wenn einer weniger Urlaub machen will, dann macht er weniger Urlaub.

Eigenverantwortung steht bei uns ganz oben. Für mich war das der erste Schritt, noch bevor wir in alle Himmelsrichtungen raus sind: Ein anderes Führungskonzept einzuführen. Weg von diesem typischen Leader-Follower-Verhältnis im Sinne von „Ich sage dir, was du machen sollst und du erledigst das“. Beim ortsunabhängigen Arbeiten funktioniert das nicht sonderlich gut. Es geht quasi darum, ein Leader-Leader-Prinzip zu etablieren.

Welche Startschwierigkeiten hattest du bei der Einführung des flexiblen Arbeitsmodells?

Um dieses neue Prinzip einzuführen, muss man die Entscheidungskraft dorthin bringen, wo das Wissen ist. Das ist am Anfang zäh, weil die eine Seite loslassen muss. Auf der anderen Seite muss man auch erst damit klar kommen, dass man jetzt die Verantwortung für die Entscheidungen, die man trifft, übernimmt.

Ich habe so oft den Satz gehört: „Sage mir doch einfach was ich tun soll.“ Und irgendwann habe ich dann geantwortet: „So, ab heute, werde ich nie wieder irgendjemanden sagen, was er tun soll.“ Das mache ich aus Prinzip nicht. Das bedeutet manchmal natürlich, dass eine Besprechung anstatt vielleicht fünf Minuten eine Stunde dauert.

Es fängt jetzt, nach einem halben, dreiviertel Jahr an, wirklich Früchte zu tragen und es passiert endlich das, was ich immer wollte: dass sich in bestimmten Bereichen Sachen von selbst entwickeln oder Ideen, auf die ich selbst niemals gekommen wäre, komplett neu geboren werden. Anstelle von einem Hirn oder zwei Hirnen, haben wir jetzt zehn Hirne, die denken und das ist ein unglaublicher Vorteil.

Ist dein Team über den ganzen Globus verstreut? Oder reist ihr gar nicht permanent, wie man sich das beim ortsunabhängigen Arbeiten immer vorstellt?

Von unserer Gruppe bin ich derjenige, der fast am wenigsten unterwegs ist. Ich arbeite die meiste Zeit von zuhause aus. Ich gehe mal ein, zwei Wochen nach Norwegen zum Hiken oder im Moment überlegen wir, ob wir spontan noch zwei Wochen nach Kroatien fahren und von dort aus arbeiten. Aber ich hatte nie dieses Bedürfnis wegzulaufen.

In unserem Team haben wir auch einen Familienvater mit drei Kindern, die im Kindergarten bzw. in der Schule sind und deshalb reist er natürlich nicht viel. Aber er genießt es, dass er zu Hause ist, die Kleine in den Kindergarten bringen, sie abholen kann – er genießt diese Art von Freiheit.

Katja wiederum ist jetzt immer drei Monate woanders, ihr Mann arbeitet auch immer mal wieder in Amerika, mal in Südamerika und sie sind dort eigentlich permanent unterwegs.

Johannes wohnt bereits in Brasilien, schon seit ein paar Jahren. Und derjenige, mit dem wir gerade ein Testprojekt machen, ein gebürtiger Deutscher, ist auch gerade in Brasilien. Wegen der Zeitverschiebung wird es also abends oftmals spät.

Arbeitet ihr nur ortsunabhängig oder auch zeitunabhängig?

Da wir ein Softwareprodukt anbieten, das natürlich auch einer (Sofort)Betreuung bedarf – und wir nicht reine E-Mailbetreuung offerieren, sondern uns insbesondere der persönliche Kontakt ganz wichtig ist –, sind unsere Telefone in der deutschen Kernzeit von 9 bis 17 Uhr durchgehend besetzt.

Da die Telefonarbeit auf mehrere Mitarbeiter aufgeteilt ist, machen diese untereinander aus, wer wann erreichbar ist. Im Moment sind wir jedoch am evaluieren, wie wir diese Anrufe abfangen können – nicht, weil wir nicht mehr mit den Leuten sprechen wollen, ganz im Gegenteil. Dennoch unterbrechen Anrufe häufig den Arbeitsprozess, was wiederum einen unglaublichen Zeitverlust darstellt. Deshalb sind wir am überlegen, wie wir es schaffen ein Modell einzuführen, das dennoch diesen persönlichen Kontakt, eine unserer großen Stärken, beibehält.

Unser Ziel ist es also, nicht nur ortsunabhängig, sondern auch komplett zeitunabhängig zu arbeiten. Bisweilen klappt das schon ganz gut, beispielsweise wenn wir Termine auf abends verlegen.

Hinsichtlich der Agenturen, mit denen wir sprechen, haben wir meistens mit dem Geschäftsführer oder Gründer Kontakt. Da es sich großteils um mittelständische Agenturen handelt, kümmert sich der Chef persönlich um die Einführung einer neuen Software. Wenn er nun einen Termin um 19 Uhr bekommt, ist er eigentlich ganz froh, da sein Terminkalender ohnehin immer voll ist. Derlei Dinge anbieten zu können – im Gegensatz zu anderen Unternehmen – ist eine weitere Stärke von uns.

Mit welchen Tools arbeitet ihr?

Wir kommunizieren viel über Slack. Beispielsweise haben wir auch einen „Kitchen“-Chanel, das ist unsere virtuelle Kaffee-Ecke zum plaudern. Jeden Tag von halb drei bis drei Uhr ist Kaffeepause, das heißt in diesem Zeitraum kann man sich via Zoom einwählen. Wir benutzen also tatsächlich Zoom zum sprechen.

Dabei reden wir nicht über die Arbeit, sondern über alles, was uns gerade einfällt. So kommt man sich auch auf persönlicher Ebene näher. Die Vereinsamung stellt beim ortsunabhängigen Arbeiten eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.

Es muss also noch viel mehr kommuniziert werden als in einem normalen Büro. Deshalb haben wir auch einen sogenannten „I intend to“-Chanel ins Leben gerufen. In diesen postet jeder die Entscheidungen, die er eigenmächtig getroffen hat. Indem er sie offen mitteilt, ist jeder auf dem gleichen Wissensstand und kann gegebenenfalls auch sein Veto einlegen, sollte die Entscheidung nicht mit einem anderen themenrelevanten Aspekt zusammenpassen.

Mit welchem Vorurteil werden ortsunabhängige Teams oft konfrontiert?

Sehr häufig höre ich die Frage: Woher weiß ich denn, dass der andere noch bzw. überhaupt arbeitet? Das scheint eine der Hauptängste zu sein, wenn es um ortsunabhängiges Arbeiten geht.

Darüber hinaus denken viele nach dem Schema: Für dich funktioniert das ja vielleicht, aber für mich nicht. Außerdem heißt es oft: Dann sehe ich meine Kollegen ja gar nicht, wir sind doch eine Familie. Die Furcht vor Vereinsamung ist also groß.

Drei gute Gründe für Unternehmen,  ortsunabhängig(er) zu arbeiten?

Erstens: Man wird zu Veränderung gezwungen. Man muss auch seinen Führungsstil und die Unternehmensstruktur ändern, damit das richtig funktioniert. Und diese Veränderungen sind nicht nur notwendiges Übel, sondern sie werden dazu führen, dass deine Firma viel erfolgreicher ist.

Zweitens: Du findest richtig coole Mitarbeiter. Deine Suche ist nicht auf einen bestimmten Radius beschränkt und du musst Leute nicht dazu zwingen, dass sie in die Nähe des Firmensitzes ziehen. Im Grunde steht dir plötzlich die ganze Welt und somit genau die Mitarbeiter, die zu dir passen könnten, offen – in Festanstellung oder als freier Mitarbeiter.

Drittens: Du kannst den Leuten so viel mehr bieten als nur Geld. Natürlich musst du die Leute ordentlich bezahlen, aber diese Freiheit, die du ihnen bieten kannst, ist soviel mehr wert. Und indirekt bietest du so auch Geld – allein, indem sie nicht jeden Tag ins Büro fahren müssen.

Denkst du, dass sich das ortsunabhängige Arbeiten firmenweit stärker verbreiten und letztlich durchsetzen wird?

Freies Arbeiten, andere Führungsstrukturen – das ist die Zukunft. Eine Vision zu haben, die weit über das bloße Geldverdienen hinausgeht. Der ganzen Arbeit einen Sinn zu geben, den Menschen einen Sinn zu geben, morgens aus dem Bett zu steigen und den Laptop anzumachen. Ich bin fest davon überzeugt, dass irgendwann nur noch diejenigen Firmen erfolgreich sein werden, die sich an diesem Arbeitsmodell orientieren.

Danke für das Interview, Alois!

Über mich

Ich bin Teresa und ich helfe Unternehmen Home-Office und remote work erfolgreich einzuführen. In meinem Blog findest du Portraits von Unternehmen, die bereits erfolgreich remote arbeiten und ich teile meine Herangehensweise an Remote Work und Leadership. Viel Spass beim Lesen!

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